Szenenziel
Das hinterlassene Taschentuch wirft viele Fragen auf. Statt das Publikum mit vielerlei Fragen zu entlassen, friert das Bild auf der Bühne ein. ca. 30sek. Spannung baut sich auf.
Hofmannsthal und Tavia begegnen sich erstmalig in einer Szene. Das Tasten der suchenden Hände, das Berühren der Hände, symbolisiert das Geschehen im Fresko an der Decke der Sixtinischen Kapelle.
Rollenbeschreibung:
HOFMANNSTHAL
Hofmannsthal referiert aus seinem „nie geschriebenen Nachwort zum Rosenkavalier“. In der „Gestimmtheit“ einer vergangenen Zeit trifft er auf eine ihm unbekannte neue Zeit, die er damals aber bereits vorauszusehen hoffte. Er weiß, die Zeiten haben sich geändert. Der Mensch aber ist Mensch geblieben, wie er war, wie er ist und wie er wohl auch einst sein wird. Ebenso nicht geändert hat sich die Sicht der Menschen auf die Zukunft. Sie wähnen sich bereits kurz vor dem Ziel, streben nach Glück und Sinn, fürchten die nahende Zukunft und sind daher oft pessimistisch gestimmt. Er weiß, indem er fest daran glaubt, um die tragende „Wesenheit“ heimischer Kultur: eine Trias aus Glaube, Liebe, Hoffnung.
Im Wesen von Tavia vermag er das reine Herz zu erkennen, das, obwohl noch im Werden, ihre Seele weithin unbeschadet wähnt. Seine Hand, seine Sprache, sein Geist soll ihr Gewissheit vermitteln und der Welt Hoffnung bringen. Diese Erkenntnis will er zu einem späteren Zeitpunkt in einem Theaterstück verdichten (Der Turm, Anm.d.Verf.)
TAVIA
Tavia ist erschöpft vom Geschehen um den Zugang zur Liebe, dem Ringen um Machtanspruch und Ohnmacht wie dem Vergehen der Zeit. Vom Festhalten und Loslassen. Noch glühen ihr die Wangen frisch im jungen Liebesglück. Diesem Zustand entgegen steht ein sanftes Drängen, ein Sehnen ihres Herzens. Wie durch einen Schleier fühlt sie ihr Gemüt von zarter „Trübnis überhangen“. Traumverloren fühlt sie eine warme „unsichtbare“ Hand, die sich sanft auf ihre Schulter legt. Wie aus dem OFF spricht eine Stimme zu ihr. Ihr „inneres Ohr“ gerät in Bewegung, Tavia lässt sich „ergreifen“. Sie spürt bereits die Kraft reifer Liebe vom Wesen „Marschallin/Produzentin“ in sich wachsen, den Sog junger Liebe im Wesen Solina/Sophie, die noch durch ein ganzes Leben getragen werden muss. Und sie anerkennt sogar das verzweifelte Ringen um „Beständigkeit“, die dem „Ochs im Regisseur“ zusehends abhanden kommt; er rührt sie in seinem Bemühen, selbst hier wird die Liebe das letzte Wort über die Verachtung sprechen. Sie reflektiert, was vor ihr, mit ihr und schließlich in ihr geschehen ist. Sie fasst die Sentenz „ich bin, wie ich es nur bin“ zu einem fortreißenden Monolog über das Leben und die Liebe zusammen. Wird sie ihr Leben wagen?
Bühnenbild
Das weiße Taschentuch liegt hellerleuchtet auf dem Boden.
Für den Opernkenner überraschend betritt nicht der kleine Neger die Bühne, sondern Tavia. Sie scheint im Bühnenhintergrund rasch vorbeilaufen zu wollen, erhascht einen Blick auf das Taschentuch, bleibt wie vom Blitz getroffen stehen, nimmt sich einen Stuhl und trägt ihn zögerlich nach vorne, den Blick fest auf das Taschentuch gerichtet. Stellt den Stuhl daneben und setzt sich darauf. (MOHAMMED geht die Bühnenkante entlang, schwer an einer Holztafel tragend, auf dem zu lesen steht: „Eine Weile später“)
TAVIA
Mit einigem Zögern nimmt sie das Taschentuch auf, blickt es in beiden Händen haltend an, wie aus ihm zu lesen. Schließlich erhebt sie den Kopf und schaut traumverloren ins Publikum
HOFMANNSTHAL
betritt mit leisen Schritten die Bühne, stellt sich seitlich neben Tavia und legt ihr sanft die Hand auf die Schulter.
Mein Kind, es könnte scheinen, als wäre hier
zeigt auf die Bühne
mit Fleiß und Mühe das Bild einer vergangenen Zeit gemalt, doch ist dies nur Täuschung und hält nicht länger dran als auf den ersten flüchtigen Blick. Die Sprache ist in keinem Buch zu finden, sie liegt aber noch in der Luft, denn es ist mehr von der Vergangenheit in der Gegenwart als man ahnt, und weder die Faninals, noch die Rofranos, noch die Lerchenaus sind ausgestorben, nur ihre drei Livreen gehen heute nicht mehr in so prächtigen Farben. Von den Sitten und Gebräuchen sind diejenigen zumeist echt und überliefert, die man für erfunden halten würde und diejenigen erfunden, die echt erscheinen. Auch hier ist ein lebendiges Ganze und man kann den Figuren ihre Redeweise nicht vom Mund reißen, denn sie ist zugleich mit ihnen geboren. Es ist gesprochene Sprache, mehr als sonst vielleicht auf dem Theater, aber sie will nicht für sich allein das Fluidum sein, von dem alles Leben in die Gestalten überströmt, sondern mit Musik im Herzen auch wieder hinaus in die Welt.
schaut fest ins Publikum, seufzt
Mein Kind war, als es uns zu früh, viel zu früh verließ, in deinem Alter. Ich wünschte du, die du so bist wie du bist, wärest ihm in seiner Zeit zur Freundin geworden. Jetzt aber bist Du mir Trost. Trost jenes im Wachsen zu sehen, wovon ich einst nur zu hoffen wagte. Ein reines, unschuldiges Herz. War doch die Zeit nicht reif für uns, so wie wir nicht für sie
hält kurz inne
jetzt aber vermag ich sie aufrecht, direkt vor mir, neu zu sehen!
im Rhythmus aufsteigend und wieder absteigend
…Zeit einer Liebe, einer Hoffnung. Zeit, für mich, für alle! Dank Dir, mein Kind!
TAVIA
Während Hofmannsthal gemessenen Schrittes abgeht, tastet Tavias Hand zögerlich nach der Hand, die dort eben noch lag. Schließlich legt sie die Hand auf’s Herz
Wie in Trance
Dank mir? Die so ist, wie ich es nur bin? Ein reines Herz?
Was musst‘ ich hier erfahren?
Noch einmal ein kurzes Suchen nach der Hand auf ihrer Schulter, Hand wieder auf’s Herz
Als Kind klein, wie ausgeliefert, jungfräulich, und überaus zart? Jetzt aber, was lässt unsereins schon erahnen?
Umfangen hat mich die Liebe, ihr geb‘ ich mich allzugern‘ preis!
Wird sie tragen, als ich, SO jung noch, schon weiß?flehentlich
Schwür‘ auf Ewigkeit, Theres‘, hab ich’s Dir nicht liebend versprochen? Alls von mir, auf ein‘ Schlag, gebrochen?
wiegt ungläubig den Kopf
Wiederum nicht zerbrochen auch?tief berührt
Deine Tränen waren Meere, bis zum Rand hin gefüllt.
Jedoch…
schaut auf das Taschentuch, spannt es aus
…dein Band trägt weit, weiter als Sehnsucht und Schmerz, Ich spür es, spür es, s’geht mitten ins Herz.
Hab‘ ich’s gelesen, hab‘ ich’s verspürt? Hat SIE es MIR vorgesagt?
s’gibt es eine Zeit, geboren zu werden und eine zu sterben?
Eine zum Weinen und eine zum Lachen?
Eine Zeit, sich zu umarmen und eine, wieder zu lösen?
Zeit für ein Frühstück?
Hab‘ ich das von ihr, der Lieben, vernommen?
Und in dem „Wie“, da liegt der ganze Unterschied!
Von Zeit und Ewigkeit war grad noch die Red‘
und ich befragt, versucht, verwirrt?
Wer bin ich, die solches, um meins willen, erfährt? Nur ich, die so ist, wie ich es nur bin? Am End‘? Das g’hört, zu unser selbst willen, geklärt. Bin nicht auch ich, wie alle es sind?
laut
Ein Ochs, eine Solina, ein Valzacchi, eine Annina? Eine Theres‘, eine Sophie?
Nicht weniger als alls zugleich, schier endlos Kopie?
leise
Mich träumte
von Rittern und Drach’n, Pfaff’n und Lakl’n?
Und nun?
schüttelt den Kopf
Jetzt träumt‘ mich, nie sind wir allein. Wir waren, wir sind, werden noch kommen, auf dem Weg zu zwein
Wort für Wort betonend
und das, will’s kaum glauben, einand‘ friedlich gesonnen?
schmunzelnd
Ein Mensch, der dünkt sich gut, ach, oft nur wie neun-mal-so-klug
Heftig, zornig, gutmütig und weise; ängstlich, urteilend, tapfer und leise.
muss lachen
Zum End‘ hin, fürcht‘ ich, werden wir’s sehn.
Forthin…
steht auf, beginnt sich schwungvoll im Kreis zu drehen, schneller und schneller, den Kopf im Nacken, Arme weit von sich gespreizt im Kreis, ausgelassen
…da leb‘ ich, da tanz‘ ich, da sing‘ ich, da plärr‘ ich
in langsamer werdender Drehung
dann
wie befreit
WENN mich das Leben verführt, dann wag‘ ich’s, geb‘ gänzlich der LIEBE mich hin.
bleibt mit ruhig und gelassenem Blick ins Publikum stehen
Das Leben, die Liebe ist einzig‘,
heiter
den Weg‘ JETZT, den weiß ich!
ENDE